Nach der üblichen gestrafften Frühstückszeremonie bleiben wir heute noch mal am gleichen Ort, um uns der vielfältigen Stadt Mysore zu widmen. Zuerst fahren wir zum Chamundi-Berg, auf dem sich die größte Nandi-Statue der Welt befindet. Nandi stellt einen Stier dar, der als das heilige Tier von Shiva unter anderem auch zuständig ist für die Fruchtbarkeit des Mannes. Aber nicht nur indische Männer pilgern dorthin, sondern auch Frauen und Kinder, um einfach nur Nandi anfassen zu können und dadurch gesegnet zu sein. Die gelebte Lebendigkeit des Hinduismus steht übrigens in einem besonderen Kontrast zu dem christlichen Glauben: Während stille Diskretion und Ruhe in unseren Kirchen vorherrschen, finden wir in den Hindu-Tempeln eher ein buntes Treiben, Tirilieren und Toben vor. Bis vor kurzem war es sogar üblich, die unzähligen Götterfiguren mit Butterkugeln zu bewerfen. Was für ein Gaudi muss das gewesen sein! Weil die dicken Butterschichten im Laufe der Zeit jedoch die Figuren zur Gänze verdeckten, wurde dieses feierliche Ritual verboten.
Nachdem wir gefühlsmäßig jetzt wohl auch den allerletzten Tempel Südindiens persönlich besucht haben, erleben wir nun die Märchenhaftigkeit des Orients: Wie aus 1001 Nacht bietet sich uns der schönste Maharadscha-Palast dar, den man sich nur vorstellen kann. Rote Zwiebeltürme, bunte Säulen, schwere Marmorfiguren, bedeutende Wandmalereien und Türen aus purem Elfenbein und Silber lassen uns die Prächtigkeit vergangener Zeiten nur ansatzweise erahnen. Unzählige Bilder von Elefantenparaden und militärischen Aufmärschen und unterstreichen die wörtliche Übersetzung des Maharadschas: Maha = groß, Radscha = König.
Nachmittags setzt uns Asket und Reiseleiter Helmut in einem riesigen Markt, der einfach alles an Obst, Gemüse, Parfumölen, Saris, Räucherstäbchen und Blech bietet, was das Herz so begehrt. Freizeit! Dieses freut natürlich auch sofort die fliegenden Händler, die sich augenblicklich auf die vollkommen allein gelassenen Rotelianer stürzen. Sätze unsererseits wie "Sorry, I don't need this ..." oder "I don' t want to buy ..." oder "Verpiss dich!" kommt in ihrem Sprachgebrauch überhaupt gar nicht erst vor. So nervt uns ein junger indischer Großverkäufer von Blechdesign-Fußketten bereits seit einer halben Stunde. Doch Ulli hat die zündende Idee: er dreht den Spieß einfach um und engagiert den dynamischen Störenfried als unseren persönlichen Scout. Babou, unser neuer Reiseleiter auf Zeit wechselt augenblicklich die Branche und zeigt uns an diesem Nachmittag noch sämtliche Sehenswürdigkeiten und Shops, die man in diesem Millionenstädtchen gesehen haben muss.
Der Ausklang des Tages soll nun auch nicht mehr dem Zufall überlassen bleiben, so dass wir uns nun das erste Mal überhaupt ein Hotelzimmer gönnen. Dem Gruppenkoller kurzfristig entflohen, genießen wir es, im Bad nicht anzustehen, eine Dusche für uns ganz allein zu haben, tatsächlich noch Klopapier auf der Rolle vorzufinden und des Nachts auch nicht mindestens 17 verschiedenen Tütengeraschel- oder Schnarchtönen lauschen zu müssen.
Namasté India!
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